Trebbow – Ort der Verschwörung. Und ein spät zugestellter Brief
Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg war in den Jahren, die auf den Attentatsversuch am 20. Juli 1944 hinführten, zunehmend zu einer der zentralen Gestalten der Verschwörung geworden. Aus einer nationalkonservativen Familie des preußischen Hochadels stammend, war sein Weg in den Widerstand nicht selbstverständlich. Aufgewachsen war er in Mecklenburg auf Schloss Tressow, gemeinsam mit seinen vier Brüdern und seiner Schwester Elisabeth, genannt Tisa, die Künstlerin geworden und 1934 mit ihrem jüdischen Ehemann nach England emigriert war. Sie war von Anbeginn eine Gegnerin der Nazis und empfand sich als Sozialistin.
Treffen im Trebbower Teehaus
Im Herbst 1943 ist Charlotte von der Schulenburg, Fritz-Dietlofs Frau, mit ihren Kindern aus Breslau auf das mecklenburgische Gut Trebbow gezogen, wo Tisa, 1939 aus England zurückgekehrt, mit ihrem zweiten Ehemann C. U. von Barner lebt. In der gemeinsamen Oppostion gegen Hitler finden die Geschwister Fritz-Dietlof und Tisa wieder zu einer vertrauensvollen Nähe. Und so sind auch beide Frauen eingeweiht in die Attentatspläne. Ostern 1944 kommt es zu einem Besuch Stauffenbergs in Trebbow und einem konspirativen Gespräch zwischen ihm und Schulenburg im Trebbower Teehaus.
In der Nacht zum 19. Juli 1944 reist Schulenburg überraschend aus Berlin an. Er ist in der warmen Sommernacht von der Bahnstation losgelaufen und Charlotte fährt ihm auf der Landstraße nach Schwerin mit dem Auto entgegen. Die Kinder werden geweckt, und nun feiern sie alle gemeinsam Charlottes 35. Geburtstag – er wird auf eben jenen Tag fallen, an dem das Attentat stattfinden soll, auf den 20. Juli 1944. Schulenburg ahnt, dass dieser Besuch womöglich ein endgültiger Abschied ist, das letzte Mal, dass er seine Familie sieht. Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Bahnhof sagt er Charlotte, dass es „fifty-fifty“ stehe.
Der Abschiedsbrief
Am 10. August spricht Roland Freisler im Volksgerichtshof das Todesurteil gegen Schulenburg aus. Er wird noch am selben Tag hingerichtet. Sein Abschiedsbrief, in den letzten Stunden vor dem Tod geschrieben, erreicht Charlotte mit großer Verspätung. Auch er sollte vernichtet werden, eine Sekretärin schrieb ihn jedoch unter Lebensgefahr mit verändertem Namen ab und schmuggelte ihn aus dem Reichsjustizministerium. Die Kopie des Briefes gelangte später an Annedore Leber, die Witwe des sozialdemokratischen Widerstandskämpfers Julius Leber, die in ihrem 1954 erschienen Buch „Das Gewissen steht auf“ einen Satz daraus zitierte. Sie nahm an, dass Schulenburgs Witwe den Brief kannte. Erst zehn Jahre später erreicht Charlotte die Abschrift: „Ich erinnere mich, daß die Sonne hell ins Fenster schien, als ich den Zettel in der Hand hielt. Es war unfaßbar – plötzlich waren diese Worte vor mir, fast zehn Jahre, nachdem sie geschrieben worden waren.“
Mein über alles geliebter Liebling,
Du wirst Dich ja auf alles gefaßt gemacht haben. Ich bin heute in der Sitzung des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilt und zur Vollstreckung des Urteils in der Strafanstalt Plötzensee. Meine Gedanken waren am schwarzen 20.7. bei Dir und suchten Dich. Auch in den folgenden Wochen, wo ich beim Geheimen Staatspolizeiamt einsaß, habe ich täglich mit Dir über die Ferne weg gesprochen und jedes meiner Kinder gestreichelt. Alle meine heißen Liebesgedanken umfingen Dich und die Kinder.
Mein berufliches Leben ist nur ein Fragment geblieben, wenn auch voller Sehnsucht und Abenteuer. Ein vollendetes Glück habe ich bei Dir gefunden, mein liebes Du, und dafür danke ich Dir aus ganzem vollen Herzen. Unsere Liebe ist unvergänglich und bleibt bestehen. Trauert nicht um mich, sondern lebt so, als ob ich Euch über die Schulter sähe und mit Euch lebte und lachte!
Du mußt, komme, was kommen mag, in Trebbow bleiben und Dich da anklammern. Das ist bestimmt richtig. Küsse jedes meiner Kinder, an denen ich nur Freude gehabt habe, meine heiteren Genien. Und Du, lieber Liebesgenius, behalte mich so lieb wie ich Dich, ganz fest und ganz vertraut wie von Urbeginnn an. Was wir getan, war unzulänglich, aber am Ende wird die Geschichte richten und uns freisprechen. Du weißt, daß mich auch die Liebe zum Vaterlande trieb.
Verzeih allen Kummer, Sorge, Not, die ich über Dich bringe!
Grüße alle Freunde.
Alles, alles Liebe
immer Dein Fritzi
Familiäres Gedenken
Bereits kurz nach Schulenburgs Tod schnitzt Tisa, Künstlerin und Bildhauerin, eine schwere Wappenplatte aus Eichenholz, an deren Rand sie den Namen ihres Bruders sowie dessen Geburts- und Todesdatum eingraviert. Am 5. September 1944, Schulenburgs 42. Geburtstag, wird die Platte an einer großen Platane im Trebbower Park angebracht, ein Kranz aus Eichenblättern verdeckt den äußersten Rand, auf dem Ulrich von Huttens Spruch steht: „Ich hab’s gewagt mit Sinnen und trag des auch kein Reu.“ Anfang 1945 – die Bäume sind kahl und alles Laub verwelkt – kommt die Inschrift zum Vorschein. Der Förster des Guts, zugleich Ortsgruppenleiter, alarmiert die SS, die die Holzplatte umgehend abholt. Tisa und Charlotte werden bei der Gauleitung vorstellig. Im Durcheinander der letzten Kriegsmonate schreitet die Gestapo nicht ein und die Sache gerät in Vergessenheit.
1985, noch vor der Wende, kann Tisa in der nahe Tressow gelegenen großen Backsteinkirche des Dorfes Gressow eine von ihr angefertigte bronzene Gedenkplatte anbringen. Auf ihr stehen die letzten Worte ihres Bruders vor dem Volksgerichtshofs: „Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor einem namenlosen Elend zu bewahren. Ich bin mir klar, daß ich daraufhin gehängt werde, bereue meine Tat aber nicht und hoffe, daß sie ein anderer in einem glücklicheren Augenblick durchführen wird.“