Begrüßung Feierstunde
Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944
am 20. Juli 2023 um 12:00 Uhr im Ehrenhof des Bendlerblocks, Berlin, anlässlich des 79. Jahrestages des20. Juli 1944
-Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung 20. Juli 1944-
Sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius,
liebe Angehörige,
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner,
Exzellenzen,
sehr geehrte Gäste!
Zur Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 begrüße ich Sie alle herzlich hier im Ehrenhof des Bendlerblocks.
Ich freue mich besonders, als weitere Mitglieder der Bundesregierung die Bundesminister-innen Lemke und Stark-Watzinger,
für den Deutschen Bundestag die Vizepräsidentinnen Göring-Eckardt und Özoğuz, Herrn Bundesverfassungsrichter Professor Eifert,
die Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Seibeld, aus Berlin Frau Senatorin Czyborra und Herrn Senator Chialo, Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Abgeordnetenhauses
sowie weitere Repräsentanten des Bundes und der Länder unter den über 600 Gästen hierbegrüßen zu dürfen.
Und ich danke auch denjenigen für ihr Interesse, die diese Gedenkveranstaltung live im Fernsehen und über den Livestream verfolgen.
Wir erinnern heute an den Umsturzversuch gegen Hitler und das NS-Unrechtsregime vor 79 Jahren. Diese Gedenkfeier, die auf Anregung und unter Mitwirkung der Angehörigen der Frauen und Männer aus dem deutschen Widerstand zustande kam, folgt ihrerseits bereits einer über 70-jährigen Tradition. Umso mehr freuen wir uns, dass weit über 400 Angehörige aus vier Generationen hier sind.
Vor 70 Jahren hat Berlins damaliger Regierender Bürgermeister, Ernst Reuter, hier in einer der ersten Gedenkfeiern den 20. Juli als sichtbares Fanal des Freiheitswillens des deutschen Volkes gedeutet und in seiner Rede den Bogen zum 17. Juni 1953 geschlagen, dem Volksaufstand in der DDR wenige Wochen vorher.
Aus unserer heutigen Warte sehen wir, dass der 20. Juli wie der 17. Juni wichtige Etappen der deutschen Freiheitsgeschichte sind. Beim 20. Juli ging es um die Beendigung der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Gewaltverbrechen, die rasche Beendigung des Kriegs und die Wiederherstellung des Rechtsstaats.
Die totale Rechtlosigkeit war die Signatur des Nazi-Regimes. So hat es auch der vor kurzem gestorbene Rechtswissenschaftler Bernd Rüthers als Kind erlebt, als der brutale Nazi-Terror im Rahmen der Novemberpogrome 1938 seine jüdische Spielkameradin traf und sein Vater der Familie daraufhin beim Mittagstisch einbläute:
„Ihr wisst jetzt, wir leben in einem Verbrecherstaat. Aber ihr dürft das niemals jemandem sagen.“
Für Bernd Rüthers war das zeitlebens Ansporn, sich mit dem Justizunrecht und den Rechtsperversionen der Nazi-Zeit zu beschäftigen und Generationen von Juristinnen und Juristen vor den Gefahren des Abgleitens von Recht in Unrecht zu sensibilisieren.
Wem historisches Wissen alleine nicht genügt, der muss nur den Hinrichtungsraum in Berlin-Plötzensee betreten. Spätestens dann erschließt sich jedem, was ein Unrechtsstaat ist. Mehr als 2.800 Menschen aus mehr als 20 Nationen sind dort ermordet worden. In diesem Jahr erinnert die Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Rahmen eines tschechisch-deutschen Kooperationsprojekts an die tschechischen Opfer von Plötzensee, mit über 670 Ermordeten die größte ausländische Opfergruppe. Wie jedes Jahr haben wir dort heute Morgen den Gottesdienst gefeiert und der Toten gedacht.
So wie die hier versammelten Angehörigen aus unterschiedlichen politischen Lagern, Glaubensrichtungen und Teilen der Gesellschaft kommen, so war es auch mit den Frauen und Männern aus dem Widerstand–sie kamen aus der Arbeiterschaft und dem Bürgertum, sie waren Kommunisten, Sozialdemokraten und Konservative, Gewerkschafter, Gläubige sowie Menschen, die einfach aus Anstand und ethischer Überzeugung handelten und es waren Offiziere und Soldaten aller Dienstgrade.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Pistorius, wir freuen uns, dass Sie zu uns gleich sprechen werden. Der versuchte Staatsstreich vom 20. Juli 1944 war von einem breiten politischen Bündnis getragen, in dem Zivilisten wie Soldaten eng zusammenwirkten. Diese Gemeinsamkeit sollten wir im Auge behalten. Gerade unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen und durch nichts zu rechtfertigenden russischen Eroberungskrieges in der Ukraine und der furchtbaren Verbrechen gegen das ukrainische Volk ist allen bewusst geworden, wie wichtig eine schlagkräftige Bundeswehr ist und wie wertvoll, dass sie an Recht und Demokratie gebunden ist.
Wenn es innerhalb des zivilen wie militärischen Widerstands in seiner ganzen Breite eine verbindende Klammer gab, dann war es der Konsens, die Willkürherrschaft und den Terror der Nazis zu beenden. Nichts drückt das besser aus als die von Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler vorbereitete „Regierungserklärung“. Sie enthält die grundlegenden Überzeugungen des Widerstands für ein Deutschland nach dem Sturz des NS-Regimes und beginnt mit den Worten:
„Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts. Die Regierung selbst muss darauf bedacht sein, jede Willkür zu vermeiden, sie muss sich daher einer geordneten Kontrolle durch das Volk unterstellen“.
Die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit war ein Kernmotiv des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Westen Deutschlands und nach 1989 ganz Deutschland mit dem Grundgesetz dieses Ziel der Herstellung eines demokratisch verfassten Rechtstaats erreicht.
Deshalb können wir heute sagen: die konsequente Fortsetzung des Widerstands gegen die NS-Diktatur ist die Loyalität zum Grundgesetz, auf das wir seit fast 75 Jahren stolz sein können.
Andersherum bedeutet das auch: der Widerstand legitimiert nicht diejenigen, die ihn gegen unseren demokratischen Rechtsstaat in Stellung bringen möchten, die seine Regeln verächtlich machen und die totalitär agieren, weil sie am Ende die Macht wollen, die dann auch das Recht bricht.
Der 20. Juli enthält damit eine ebenso aktuelle wie unverändert gültige Botschaft und Aufforderung an alle und gerade die Jüngeren. Auch wenn die sozialen Netzwerke mit ihren endlosen mal richtigen und malfalschen Infos über Schwächen und Fehler unserer staatlichen Ordnung uns mitunter den Blick vernebeln: für die große Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaates bleiben wir alle verantwortlich und wir dürfen sie uns von nichts und niemandem aus den Fingern winden lassen.
Kraft und Inspiration für diese dauernde Aufgabe können uns die Biographien der Frauen und Männer aus dem Widerstand geben. Die Stiftung 20. Juli 1944 und die Angehörigen werden weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, dass uns diese Vorbilder nahe bleiben.