Die Stimme des Gewissens
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Karin Schubert
Die Stimme des Gewissens
Ansprache der Bürgermeisterin von Berlin Karin Schubert am 19. Juli 2006 im
Berliner Rathaus
Seit 62 Jahren gedenken wir der Opfer des Widerstands des 20. Juli. Und es ist gute Sitte, dass Sie, die Hinterbliebenen und Ehrengäste, alljährlich am Vorabend des Gedenktages zu uns ins Berliner Rathaus kommen. Ich danke Ihnen, dass Sie heute hier sind, und möchte Ihnen auch die herzlichen Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin ausrichten.
Der 20. Juli ist ein besonderer Gedenktag. Wir erinnern uns des heldenhaften Widerstandes gegen Hitler und wir versichern uns dabei auch unserer freiheitlich-demokratischen und europäischen Wurzeln. Wir zeigen damit, dass der 20. Juli keine Episode war, kein gescheiterter Putsch rückwärtsgewandter Wehrmachtsoffiziere. Sondern ein „Aufstand des Gewissens“, mit dem ein neues, ein anderes Deutschland sein Gesicht zeigte.
Dieses andere Deutschland spricht eindringlich aus den schriftlichen Zeugnissen der tapferen Männer und Frauen des 20. Juli. Besonders erschütternd sind jene inneren Klärungsprozesse, die dem bedingungslosen Willen zum Attentat auf Hitler vorausgingen.
Fast aphoristisch umschriebt dies eine Gesprächsnotiz, die Hauptmann Stahlberg, der Adjutant von Generalfeldmarschall von Manstein, im Juni 1944 angefertigt hat: „Ich fragte Henning von Tresckow, ob der denn eine Chance sehe, dass der Staatsstreich gelingen werde. ,Mit größter Wahrscheinlichkeit wird alles schief gehen.’ ,Und trotzdem?’ ,Ja, trotzdem.’“
In diesem „Trotzdem“ liegt der ganze politisch-moralische Kosmos des deutschen Widerstands. Es gab für die Männer und Frauen des 20. Juli kein Vorbild und kein Beispiel in der deutschen Geschichte, auf das sie sich hätten berufen können – nur ihr Gewissen. Die Stimme des Gewissens, es gab sie und sie war in all dem Gebrüll der Nazis und dem Donner der Geschütze deutlich zu vernehmen.
In diesem Sinne haben die Verschwörer des 20. Juli einen bleibenden Maßstab für Widerstand in der Nazi-Zeit gesetzt. Viele Deutsche behaupteten nach dem Krieg, sie seien dagegen gewesen, aber was hätten sie „denn schon ausrichten können“. Dagegen steht Henning von Tresckows berühmter Satz: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben zu geben.“
Dieser Satz stammt wie viele andere Aussagen der Widerstandskämpfer aus einem Ethik-Lehrbuch, das das Leben schrieb. Keine dieser Einsichten sind bloße Behauptungen, ihr Wahrheitsgehalt wurde bezeugt durch manchmal quälende Selbstbefragungen und durch die Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern und das Leben der nächsten Angehörigen zumindest zu gefährden.
Carl Zuckmayer sagte 1969 in einer Gedenkrede zum 20. Juli: „Diese Menschen haben sich weder durch Verführung noch durch Bedrohung von ihrem harten Weg abbringen lassen, den sie im Finstern gehen mussten, oft wie Blinde tastend und einander nur mühsam erreichend. Sie sind ihn zu Ende gegangen, und sie haben noch im Scheitern, noch im Unterliegen, ja gerade im Scheitern und Unterliegen, ihren Auftrag vollendet.“
Dieser Auftrag ist das Vermächtnis des 20. Juli an uns. Wir dürfen nie vergessen, welchen Preis diese tapferen Männer und Frauen im Kampf für ein besseres Deutschland gezahlt haben. Und das bedeutet: Wir dürfen nicht vergessen, dass uns Freiheit und Demokratie nicht in den Schoß fallen, sondern stets aufs neue verteidigt werden müssen – und zwar auch gegen jene braunen Horden gegen die sich die Männer und Frauen des 20. Juli erhoben.
Wir müssen das Gedenken des 20. Juli lebendig erhalten. Wir müssen kommenden Generationen zeigen, dass unser Weg zu Freiheit und Demokratie kein einfacher war, sondern ein vielfach gewundener, mit gefährlichen Abgründen, Verführungen und Verstrickungen. In größter Not - das zeigt uns der 20. Juli – gab es nur den einen Ausweg: Der Stimme des Gewissens zu folgen, innere Freiheit zurück zu gewinnen, damit die äußere Befreiung von der Barbarei ein sicheres Fundament hatte.
Sie alle tragen durch vielfältige Initiative entscheidend dazu bei, dass das Vermächtnis des 20. Juli lebendig bleibt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur politischen Kultur unseres Landes. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Berlinerinnen und Berliner.
Karin Schubert
Die Stimme des Gewissens
Ansprache der Bürgermeisterin von Berlin Karin Schubert am 19. Juli 2006 im
Berliner Rathaus
Seit 62 Jahren gedenken wir der Opfer des Widerstands des 20. Juli. Und es ist gute Sitte, dass Sie, die Hinterbliebenen und Ehrengäste, alljährlich am Vorabend des Gedenktages zu uns ins Berliner Rathaus kommen. Ich danke Ihnen, dass Sie heute hier sind, und möchte Ihnen auch die herzlichen Grüße des Regierenden Bürgermeisters von Berlin ausrichten.
Der 20. Juli ist ein besonderer Gedenktag. Wir erinnern uns des heldenhaften Widerstandes gegen Hitler und wir versichern uns dabei auch unserer freiheitlich-demokratischen und europäischen Wurzeln. Wir zeigen damit, dass der 20. Juli keine Episode war, kein gescheiterter Putsch rückwärtsgewandter Wehrmachtsoffiziere. Sondern ein „Aufstand des Gewissens“, mit dem ein neues, ein anderes Deutschland sein Gesicht zeigte.
Dieses andere Deutschland spricht eindringlich aus den schriftlichen Zeugnissen der tapferen Männer und Frauen des 20. Juli. Besonders erschütternd sind jene inneren Klärungsprozesse, die dem bedingungslosen Willen zum Attentat auf Hitler vorausgingen.
Fast aphoristisch umschriebt dies eine Gesprächsnotiz, die Hauptmann Stahlberg, der Adjutant von Generalfeldmarschall von Manstein, im Juni 1944 angefertigt hat: „Ich fragte Henning von Tresckow, ob der denn eine Chance sehe, dass der Staatsstreich gelingen werde. ,Mit größter Wahrscheinlichkeit wird alles schief gehen.’ ,Und trotzdem?’ ,Ja, trotzdem.’“
In diesem „Trotzdem“ liegt der ganze politisch-moralische Kosmos des deutschen Widerstands. Es gab für die Männer und Frauen des 20. Juli kein Vorbild und kein Beispiel in der deutschen Geschichte, auf das sie sich hätten berufen können – nur ihr Gewissen. Die Stimme des Gewissens, es gab sie und sie war in all dem Gebrüll der Nazis und dem Donner der Geschütze deutlich zu vernehmen.
In diesem Sinne haben die Verschwörer des 20. Juli einen bleibenden Maßstab für Widerstand in der Nazi-Zeit gesetzt. Viele Deutsche behaupteten nach dem Krieg, sie seien dagegen gewesen, aber was hätten sie „denn schon ausrichten können“. Dagegen steht Henning von Tresckows berühmter Satz: „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben zu geben.“
Dieser Satz stammt wie viele andere Aussagen der Widerstandskämpfer aus einem Ethik-Lehrbuch, das das Leben schrieb. Keine dieser Einsichten sind bloße Behauptungen, ihr Wahrheitsgehalt wurde bezeugt durch manchmal quälende Selbstbefragungen und durch die Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern und das Leben der nächsten Angehörigen zumindest zu gefährden.
Carl Zuckmayer sagte 1969 in einer Gedenkrede zum 20. Juli: „Diese Menschen haben sich weder durch Verführung noch durch Bedrohung von ihrem harten Weg abbringen lassen, den sie im Finstern gehen mussten, oft wie Blinde tastend und einander nur mühsam erreichend. Sie sind ihn zu Ende gegangen, und sie haben noch im Scheitern, noch im Unterliegen, ja gerade im Scheitern und Unterliegen, ihren Auftrag vollendet.“
Dieser Auftrag ist das Vermächtnis des 20. Juli an uns. Wir dürfen nie vergessen, welchen Preis diese tapferen Männer und Frauen im Kampf für ein besseres Deutschland gezahlt haben. Und das bedeutet: Wir dürfen nicht vergessen, dass uns Freiheit und Demokratie nicht in den Schoß fallen, sondern stets aufs neue verteidigt werden müssen – und zwar auch gegen jene braunen Horden gegen die sich die Männer und Frauen des 20. Juli erhoben.
Wir müssen das Gedenken des 20. Juli lebendig erhalten. Wir müssen kommenden Generationen zeigen, dass unser Weg zu Freiheit und Demokratie kein einfacher war, sondern ein vielfach gewundener, mit gefährlichen Abgründen, Verführungen und Verstrickungen. In größter Not - das zeigt uns der 20. Juli – gab es nur den einen Ausweg: Der Stimme des Gewissens zu folgen, innere Freiheit zurück zu gewinnen, damit die äußere Befreiung von der Barbarei ein sicheres Fundament hatte.
Sie alle tragen durch vielfältige Initiative entscheidend dazu bei, dass das Vermächtnis des 20. Juli lebendig bleibt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur politischen Kultur unseres Landes. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Berlinerinnen und Berliner.