Eine kleine aber wichtige Ausstellung

Günter Winands

Eine kleine aber wichtige Ausstellung

Grußwort des Ministerialdirektors bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Dr. Günter Winands, zur Eröffnung der Ausstellung „Unsere wahre Identität sollte vernichtet werden“ am 22. November 2016 im Kursaal der Stadt Bad Sachsa

Meine sehr geehrten Damen und Herrn,

erlauben Sie mir, mit einem Zitat zu beginnen, einem Zitat, das mir nur schwer über die Lippen geht: „Dieser Mann hat Verrat geübt, das Blut ist schlecht, da ist Verräterblut drin, das wird ausgerottet. Und bei der Blutrache wurde ausgerottet bis zum letzten Glied in der ganzen Sippe. Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht werden bis ins letzte Glied. Denn das muss ein einmaliges warnendes Beispiel sein.“ So deutlich, so unfassbar drastisch formulierte Heinrich Himmler – unter Berufung auf angebliche germanische Tradition – seine Vorstellung eines Rachefeldzugs gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 und ihre Familien.

Zum Opfer fielen ihm auch die Kinder der Männer, die für das Attentat am 20. Juli 1944 alles aufs Spiel gesetzt hatten und mit dem Leben zahlten. Die Kinder wurden verschleppt, von ihren Müttern und Familien getrennt sowie ihres Namens und ihrer Identität beraubt. „Unsere wahre Identität sollte vernichtet werden“, lautet dementsprechend der Titel der Ausstellung hier in Bad Sachsa, die wir heute gemeinsam eröffnen.

Es ist eine kleine, aber wichtige Ausstellung, die einen bislang in der Öffentlichkeit kaum bekannten und nur unzureichend beachteten Vorgang der nationalsozialistischen Verfolgungsmaschinerie beleuchtet: das bereits im Niedergang begriffene Regime wandte sich in Form der sogenannten „Sippenhaft“ nicht nur gegen erwachsene Angehörige von Regimegegnern, sondern auch gegen deren Kinder, sogar gegen diejenigen im Säuglingsalter. Das jüngste Opfer, Dagmar Hansen, war damals gerade einmal wenige Wochen alt. Das älteste, Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld – der sogleich selbst noch zu uns sprechen wird – war 15 Jahre alt.

Man kann sich kaum vorstellen, was in Ihnen, sehr geehrter Graf von Schwerin, was in allen heute anwesenden damaligen Kindern vorgegangen sein mag, als Sie so völlig unvorbereitet und ahnungslos hier in Bad Sachsa eintrafen. Die Eltern verhaftet oder bereits ermordet, die Geschwister von Ihnen getrennt, sogar der Kontakt zum Teil verboten, persönliche Gegenstände und Fotos weggenommen. Verstehen konnten Sie es damals wohl kaum, sei es weil Sie ohnehin noch zu jung waren, sei es weil die Eltern Ihnen zu Ihrem Schutz nichts von den Plänen der Väter erzählt hatten. In Bad Sachsa sahen Sie sich den perfiden Plänen der Nationalsozialisten schutz- und wehrlos ausgeliefert. Ausdrücklich ging es darum, Ihren Namen und Ihre wahre Identität zu verschleiern, ja zu zerstören. Wahrscheinlich sollten die jüngeren Kinder sodann von gesinnungstreuen Familien adoptiert, die älteren in nationalsozialistischen Erziehungsanstalten untergebracht werden. Gottlob kam es nicht so weit. Die Pläne wurden nach einigen Monaten nicht mehr konsequent durchgesetzt, im Herbst 1944 durften die ersten Kinder zurück zu ihren wieder freigelassenen Müttern, die letzten konnten erst nach Kriegsende im Sommer 1945 zu ihren Familien zurückkehren.

Die Erfahrung, aus der Familie, aus dem bekannten und – trotz allem – vielfach friedvollen Familienleben herausgerissen zu werden, seinen Namen und seine Identität – wenn auch nur vorübergehend – zu verlieren, diese Erfahrung hat, glaube ich, wohl alle „Kinder von Bad Sachsa“ ein Leben lang begleitet. Die Ausstellung soll daher nicht nur Kenntnisse über diese Ausgeburt an Schändlichkeit des nationalsozialistischen Terrorregimes vermitteln. Sie soll auch das Schicksal derer würdigen, die 1944/1945 an diesen Ort verbracht wurden und Repressalien erdulden mussten, weil ihre Eltern im Angesicht von Terror, Gewalt und menschenverachtenden Praktiken Heldenmut bewiesen. Es erscheint mir wichtig, heute aber auch von den Vätern zu sprechen, für die die Kinder haftbar gemacht wurden.

Im Widerstand des 20. Juli 1944 waren Männer, die, getrieben von ihrem Gewissen, für Freiheit, Moral, Selbstachtung und Menschlichkeit eintraten, in einer Zeit, die von Gewalt und Zwang, Gewissenlosigkeit und Menschenverachtung geprägt war. Sie setzten damit alles aufs Spiel – und waren sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Ich zitiere: „Es ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.“ – so Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Der unbedingte Wille zum Widerstand der am Attentat vom 20. Juli 1944 Beteiligten, die Bereitschaft, die Konsequenzen dieser Tat zu tragen, sie schlimmstenfalls mit ihrem Leben zu bezahlen, erfüllt uns auch heute noch mit tiefer Demut und Dankbarkeit! Dankbarkeit, dass es solche Menschen eines anderen Deutschland gab! Wie stünde Deutschland heute im Spiegel der Geschichte da, wenn es solche Menschen nicht gegeben hätte?

Keiner von uns könnte wohl ehrlich sagen, wie er selbst in einer solchen Situation gehandelt hätte. Und doch bleibt die unmissverständliche Botschaft des 20. Juli 1944: Man konnte, man musste etwas tun! Es gab Menschen, die auch unter den Bedingungen einer Diktatur und in einem Klima aus Misstrauen und Angst für mitmenschliches und verantwortungsvolles Handeln eintraten.

Dabei denke ich nicht nur an die Männer des 20. Juli, sondern auch an Gruppen wie den Kreisauer Kreis oder die Weiße Rose und Einzelkämpfer wie Georg Elser. All diesen Menschen ist die Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock in Berlin gewidmet, deren Leiter Prof. Johannes Tuchel gleich in die Ausstellung einführen wird. Die Erarbeitung der Ausstellung hier in Bad Sachsa lag ganz maßgeblich in seinen Händen. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen!

Herr Prof. Tuchel leitet in Berlin nicht nur die Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit der Gedenkstätte Plötzensee. Nein, im Auftrag des Bundes ist er auch für das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt und die Gedenkstätte Stille Helden in der Rosenthaler Straße in Berlin verantwortlich. Dort geht es um die sogenannten „Stillen Helden“, Menschen also, die uns heute oftmals namentlich gar nicht mehr bekannt sind, die im Kleinen halfen, die durch einfache Gesten Mut und Hoffnung machten, die sich jedenfalls geistig widersetzten. All diese Menschen zeugen davon, dass die Nationalsozialisten nie ganz und gar obsiegten, dass es immer Menschen gab, die selbstlos bereit waren, mitmenschliche Verantwortung und Hilfsbereitschaft zu zeigen, ohne Rücksicht auf die Folgen und ohne Anspruch auf eine spätere Anerkennung oder gar Würdigung ihrer Taten.

Umso schöner, lieber Herr Tuchel, dass es gelungen ist, im Bundeshaushalt 2017, der in dieser Woche verabschiedet wird, rund 4 Millionen Euro bereitzustellen, um die Gedenkstätte Stille Helden mit ihrer Dauerausstellung künftig an neuem Standort überarbeitet und vergrößert präsentieren zu können. Herr Prof. Tuchel, ich bin bereits jetzt auf die „Stillen Helden“ in neuem Gewand gespannt!

Die Bundesregierung kommt mit der Förderung von Ausstellungen wie im Bendlerblock und in der Gedenkstätte Stille Helden oder auch hier in Bad Sachsa nicht zuletzt ihrer bleibenden historischen Verantwortung und Verpflichtung nach, für alle Zeit an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu erinnern und ihrer Opfer zu gedenken. In diesem Sinne sind uns die Menschen um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Ihre Väter und Mütter, auch eine ständige Mahnung. Diese wenigen Menschen haben Heldenhaftes vollbracht, sie haben ihrem Gewissen und ihrem inneren Kompass vertraut und entsprechend gehandelt. Zu viele aber haben den Aufstieg der Nationalsozialisten und die damit einhergehende Verfolgung und Entrechtung, die schließlich in den Zweiten Weltkrieg und den Zivilisationsbruch des Holocaust mündete, zumindest geduldet. Zu viele haben weggesehen und blieben stumm.

Umso wichtiger ist es, an die Menschen zu erinnern, die sich gegen diese Mehrheit gestellt haben. Und dabei dürfen wir nicht aussparen, welchen Preis sie für ihren Mut gezahlt haben, welchen Preis auch ihre Angehörigen, insbesondere Ehepartner und Kinder, zahlen mussten. Ich danke daher allen an der Erarbeitung der heute zu eröffnenden Ausstellung Beteiligten: der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Stiftung 20. Juli 1944 und insbesondere auch der Stadt Bad Sachsa und namentlich vor allem ihrem Bürgermeister Dr. Axel Hartmann. Sie, Herr Bürgermeister, haben vor zwei Jahren nach Ihrem Amtsantritt die Initiative ergriffen und sich nicht gescheut, dieses schwierige Kapitel der Stadtgeschichte aufzuarbeiten und öffentlich zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass diese kleine, aber wichtige Ausstellung viele interessierte Besucher und die entstandene Dokumentation viele Leser findet!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!






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