Grußworte im Roten Rathaus
Begrüßung
Empfang im Roten Rathaus am 19. Juli 2022 um 18 Uhr anlässlich des 78. Jahrestages des 20. Juli 1944
- Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück -
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lederer,
liebe Angehörige, liebe Jugendliche und Schülerinnen und Schüler,
liebe Gäste,
zunächst Ihnen lieber Herr Lederer herzlichen Dank für Ihre Worte und dafür, dass Sie uns hier im Festsaal, der guten Stube des Berliner Senats empfangen.
Was für eine Freude, dass dieses Zusammentreffen mit den Angehörigen – wenn auch mit Maske – nach zweijähriger Pause wieder möglich ist. Wir können dabei – wenn ich recht sehe – auch ein kleines Jubiläum Berliner Erinnerungskultur begehen, denn diesen Empfang des Berliner Senats für die Angehörigen des Widerstands gibt es seit dem Jahr 1952, also seit 70 Jahren. Umso schöner, dass dieses Jahr wieder viele Angehörige aus mehreren Generationen hier sind und ganz besonders viele Angehörige aus der Kindergeneration. Stellvertretend für die Kindergeneration möchte ich Wilhelm Graf Schwerin v. Schwanenfeld begrüßen (Jahrgang 1929).
Sie haben eben zu Recht von den wenigen Zeitzeugen gesprochen, die wir noch haben. Die Angehörigen der Kindergeneration sind solche Zeitzeugen, sie können aus der Spanne ihres eigenen Lebens berichten, wie ihre Mütter und Familien sich nach dem gescheiterten Aufstand vom 20. Juli durchschlagen mussten, einige waren in Sippenhaft, viele haben erlebt, wie sie von der deutschen Nachkriegsgesellschaft ausgegrenzt, als Verräterkinder o.ä. diffamiert wurden. Diese Erinnerungen sind wichtig. Übrigens haben diese Schätze der Erinnerung u.a. auch einen konkreten digitalen Ort, an dem sie sich jeder ansehen kann, nämlich das „Lebendige Archiv“ auf unserer Website. Ich lade jeden ein, sich das Lebendige Archiv anzusehen und danke allen Angehörigen, die dazu beigetragen haben und weiter beitragen.
An den Widerstand erinnern wir vor allem auch deshalb, weil wir daraus für die Gegenwart und die Zukunft lernen können Das ist auch genau das, wozu die Stiftung 20. Juli 1944 einen Beitrag leisten möchte, nämlich einen Beitrag zur Stärkung unserer Freiheit, unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Deshalb ist es gut und wichtig, dass hier auch zahlreiche Jugendliche aus ganz Deutschland sind, die bei dem Jugendwettbewerbs der GDW Remember Resistance 33 bis 45 mitgemacht haben; ebenso zahlreiche Schülerinnen und Schüler unser Partnerschulen, vom Eberhard Ludwigs Gymnasium, der Klosterschule Roßleben, der Leinetal Realschule und Gymnasium, dem Matthias-Claudius-Gymnasium sowie der Max-Ulrich-von-Drechsel Realschule. Gerade weil so viele Angehörige hier sind und so viele Schülerinnen und Schüler, kann ich nur alle ermutigen, aufeinander zuzugehen und ins Gespräch zu kommen.
Wie wertvoll dieses Gespräch über die Grenze der Generationen ist, haben wir vor kurzem erlebt. An dieser Stelle möchte ich ein anderes Mitglied der Kindergeneration sehr herzlich begrüßen, nämlich Axel Smend, der im letzten Jahr den Kuratoriumsvorsitz an Valerie Riedesel übergeben hat und nun Ehrenvorsitzender ist. Er hat vor kurzem zahlreiche Angehörige der Kindergeneration mit Schülerinnen und Schülern unserer Partnerschulen in Wennigsen in Niedersachsen zusammengebracht. Viele sind hier anwesend. Es waren beglückende, schöne und wichtige Gespräche. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ist heute ein großer Artikel darüber schienen. Dir einen ganz herzlichen Dank lieber Axel und auch für Deine unermüdliche Arbeit für die Stiftung und ihr Anliegen.
Welch schwierige Wege die Angehörigen des Widerstands auch nach 1945 hatten, zeigt die Ausstellung der GDW über das Widerstandsnetzwerk der sog. „Roten Kapelle,“ die Sie - lieber Herr Lederer - letzte Woche eröffnet haben. Diese Ausstellung kann ich nur jedem ans Herz legen. Im Zentrum stehen von Stefan Roloff geführte und sehr berührende Interviews mit Beteiligten. Sie zeigen, wie wirkmächtig die nationalsozialistischen Diffamierungen in Ost und West auch noch lange nach Kriegsende waren und die berechtigte Anerkennung dieser Frauen und Männer des Widerstands viel zu lange verhinderten.
Den Bezug zu den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft stellen wir morgen aber auch noch auf andere Weise her: bei der Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung in Plötzensee wird Swetlana Tichanowskaja, die belarussische Oppositionsführerin sprechen. Was für eine beeindruckende und mutige Frau: als ihr Mann Sergej Tichanowski verhaftet wurde, weil er den Diktator Lukaschenko herausgefordert hat, ist sie kurzentschlossen vor zwei Jahren selber zur Wahl angetreten, zusammen mit Veronika Zepkalo und der inhaftierten Maria Kolesnikowa, deren Schwester wir morgen ebenfalls begrüßen werden. Das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen vom August 2020 wurde bekanntlich gefälscht und Swetlana Tichanowskaja ist mit ihren Kindern nach Litauen ins Exil geflohen. In Belarus drohen ihr und allen Mitstreiterinnen lange Gefängnis- oder sogar die Todesstrafe. Davon unbeeindruckt und unermüdlich kämpft sie von dort für einen Regime-Wechsel und für Freiheit und Demokratie in ihrem Heimatland Belarus. Dieser Kampf ist für Europa und uns ungeheuer wichtig und sie verdient unsere volle Unterstützung.
Das Eintreten für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie ist nie zu Ende. Wir die Angehörigen des Widerstands und der Stiftung 20. Juli 1944 werden unseren Beitrag dafür weiterhin leisten. Wir danken dem Berliner Senat, ganz besonders Ihnen als Kultursenator, dem die Erinnerungskultur nicht nur qua Amt, sondern auch persönlich am Herzen liegt, für die immer gute Zusammenarbeit. Ganz besonders sind wir der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und dem ganzen Team dort unter der Leitung von Professor Tuchel verbunden. Ihm danke ich im Namen aller Angehörigen sehr herzlich.
Herzlichen Dank!