Grußwort
Feierstunde der Bundesregierung und der Stiftung 20. Juli 1944 am 20. Juli 2024 um 11:00 Uhr im Ehrenhof des Bendlerblocks, Berlin, anlässlich des 80. Jahrestages des 20. Juli 1944
- Kai Wegner, MdA, Regierender Bürgermeister von Berlin -
Anrede,
Heute vor 80 Jahren wurden in diesem Hof Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, Friedrich Olbricht und Werner von Haeften hingerichtet. Sie wurden standrechtlich erschossen. Das Attentat auf Hitler und die Operation Walküre – der Versuch eines Staatsstreiches: Sie waren gescheitert.
Mehr als 200 aufrechte Frauen und Männer hatten einen Akt des militärischen Widerstandes versucht. Sie waren Sozialdemokraten und Konservative, Protestanten und Katholiken, Soldaten und Zivilisten.
Was sie einte, war eine Überzeugung: Dass die Herrschaft des Unrechts, des Krieges und der Gewalt beendet werden musste. Dem Recht sollte Genüge getan, der Rechtsstaat wiederhergestellt werden.
Und diese Überzeugung war getragen von Hoffnung – von der Hoffnung darauf, dass Freiheit stärker ist als Unterdrückung, dass die Menschenwürde stärker ist als das barbarische Morden, dass das Recht stärker ist als Unrecht.
Diese Überzeugung entstand auch aus Scham. AusScham und Empörung über die Verbrechen, die viele von ihnen mit angesehen hatten. Verbrechen, die im Namen Deutschlands an Millionen Menschen verübt wurden.
Wären sie erfolgreich gewesen, hätten sie den Mord an weiteren Millionen Menschen verhindern können, die in den zehn Monaten bis zum Kriegsende Opfer des Krieges und der menschenverachtenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurden.
Diesen Widerstand, das Eintreten für Recht und Freiheit, bezahlten viele der Männer und Frauen des 20. Juli mit ihrem Leben. Etwa 200 wurden hingerichtet oder in den Selbstmord getrieben.
Ihre Angehörigen verloren Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder. Sie wurden gedemütigt und verhaftet, manche in Konzentrationslagern interniert. Kinder wurden ihren Eltern entrissen und verschleppt. Auch die Angehörigen wurden Opfer von Gewalt und Vertreibung. Auch sie wurden Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsstaates.
Heute, 80 Jahre später, sind die Männer und Frauen des 20. Juli Vorbilder. Sie hatten nicht nur Anstand, sie hatten auch die Kraft und den Mut, sich dem Nationalsozialismus entgegenzustellen – egal wie gering die Erfolgsaussichten ihres Unternehmens waren.
Ihre Biografien und ihr Einsatz mahnen uns. Denn der heutige Tag ist nicht nur bloßes Erinnern an den Mut von damals. Auch im Hier und Jetzt geht es um Mut und Anstand.
Und der heutige Tag ist gerade in schwierigen Zeiten – auch ein Zeichen der Hoffnung.
Denn auch wenn das Attentat am 20. Juli scheiterte: Am Ende siegten doch Freiheit, Recht und Menschenwürde.
Daran erinnert uns nicht nur der 80. Jahrestag des 20. Juli, sondern auch das 75. Jubiläum unseres Grundgesetzes, das wir in diesem Jahr feiern.
Dieses Grundgesetz entstand aus der Erfahrung; aus den Gräueln und dem Schrecken, aus dem Unrecht und der Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus. Es ist das Fundament unseres demokratisch verfassten Rechtsstaates. An seinem Anfang und in seinem Mittelpunkt stehen die Würde und die Unverletzlichkeit der Rechte jedes und jeder Einzelnen. Werte und Haltung, für die auch die Männer und Frauen des 20. Juli standen.
So wie ihr heldenhafter Einsatz verpflichtet uns auch das Grundgesetz, Menschlichkeit zu zeigen, Haltung zu zeigen und Freiheit und Rechtsstaat zu schützen und verteidigen. Die Demokratie zu verteidigen gegen Bedrohungen von außen und von innen. Gegen Krieg und Extremismus.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die politischen Erfolge von Populisten, Extremisten und Antidemokraten und nicht zuletzt die erschreckende Zahl von antisemitischen Übergriffen in Berlin und auch in ganz Deutschland zeigen: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenwürde fordern unseren Einsatz.
Der Mut der Frauen und Männer des 20. Juli bringt diese Werte zum Strahlen. Sorgen wir dafür, dass auch unser Handeln diese Werte zum Strahlen bringt.
Ich verneige mich in Anerkennung vor den mutigen Frauen und Männern des 20. Juli 1944.