„Man kann immer etwas tun.“

Robert von Steinau-Steinrück

„Man kann immer etwas tun.“

Ansprache des Vorsitzenden des Vorstands der „Stiftung 20. Juli 1944“ Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück am 19. Juli 2015 im Berliner Rathaus

Sehr geehrter, lieber Herr Bürgermeister Henkel,

sehr geehrte Ehrengäste und Angehörige,

wir freuen uns, dass Sie, lieber Herr Henkel uns wieder als Bürgermeister begrüßen. Aus Ihren häufigen Besuchen bei den Feiern zum 20. Juli 1944 in den vergangenen Jahren wissen wir, dass Ihnen dieser Gedenktag persönlich am Herzen liegt.

Lassen Sie mich zunächst einen Anwesenden noch besonders begrüßen: das ist Adrian de Winter und seine Frau. Als Jugendlicher hat er in den Niederlanden Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet und ist inhaftiert worden, konnte aber entkommen. Er setzt sich unermüdlich in vielen Veranstaltungen in Schulen für die deutsch-holländische Freundschaft ein.

Hinter uns liegen herausragende Gedenktage in diesem und im letzten Jahr: im Jahr 2014 haben wir uns an den 70. Jahrestag des 20. Juli und an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. 2015 stand – gerade hier in Berlin – das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren im Zentrum; im letzten Herbst war es der Fall der Mauer vor 25 Jahren. In wenigen Monaten freuen wir uns über 25 Jahre Deutsche Einheit. Mit all diesen Ereignissen steht der Gedenktag, den wir morgen begehen, in engem Zusammenhang.

Von den vielen Veranstaltungen aus dem letzten Jahr möchte ich eine aus dem vergangenen Herbst hervorheben: das war das Gespräch zwischen Clarita Müller-Plantenberg und Volker Hayessen, also zwei Kindern ermordeter Widerstands-kämpfer unter der Moderation von Johannes Tuchel im Plenarsaal des Kammer-gerichtes. Es ging um die Folgen der Prozesse vor dem Volksgerichtshof nach dem 20. Juli 1944 für die Angehörigen und es fand genau dort in dem Raum statt, in dem Freisler seine Schauprozesse veranstaltete. Sie waren – um es in den Worten von Johannes Tuchel zu sagen – eigentlich „justizförmige Tötungen“. Von 156 Angeklagten wurden 104 zum Tode verurteilt. Dieses Gespräch ging unter die Haut. Es war nicht nur der Verlust der Ehemänner und Väter, den im Krieg viele Familien verkraften mussten, sondern diese Ermordung mit entehrenden, justizförmigen Anschein mit allen weiteren Folgen wie Isolierung, Ausgegrenzt-Sein, Verlust von Rentenansprüchen und manches mehr, der die Lebenswege der Frauen und Kinder so nachhaltig tief geprägt hat. Vieles davon war bei dieser Veranstaltung beklemmend nah.

Entscheidend ist, wie befreiend dieses Gespräch genau an diesem Ort war. Freisler und die Nationalsozialisten haben eben nicht gesiegt. Die Schauprozesse haben nicht die Wirkung auf die Bevölkerung gehabt, die die Nationalsozialisten sich erhofft hatten. Das Bild einer „kleinen Verschwörerclique“ konnten sie gerade nicht propagandistisch untermauern. Ganz im Gegenteil: die Regierungserklärung vom 20. Juli forderte die Wiederherstellung der „Majestät des Rechts“. Heute tagt in diesem Saal das höchste Gericht des Landes Berlin, das Landesverfassungsgericht.

In diesem Sinne sind weder der Umsturzversuch vom 20. Juli noch die vielen anderen Akte des Widerstands gescheitert. Ich zitiere aus dem schönen Artikel von Frauke Geyken und Elisabeth Ruge in der aktuellen Ausgabe des Spiegel über diejenigen, die im Widerstand waren: „Die Botschaft dieser Menschen lautete: Man kann immer etwas tun. Es waren nicht viele, aber viel mehr, als wir bislang wahrhaben wollten. Wir sollten sie alle für unsere Zeit, für unsere Zukunft entdecken.“

Genau das werden wir, die Stiftung und die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 auch weiterhin in unseren Veranstaltungen und Ausstellungen vermitteln. Dass wir die vielen Ausstellungen und Veranstaltungen durchführen können, verdanken wir unserer Einbindung in die Arbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand unter der Leitung von Johannes Tuchel und dem Berliner Senat. Dafür Ihnen, lieber Herr Bürgermeister Henkel, im Namen der Stiftung unser herzlicher Dank.