Predigt Plötzensee

Ökumenischer Gottesdienst in der Gedenkstätte Plötzensee am 20. Juli 2020 um 9:00 Uhr anlässlich des 76. Jahrestages des 20. Juli 1944
PER LIVESTREAM (ohne Publikum)


 – Superintendent Carsten Bolz –


Predigt mit Mk 9,24 (Jahreslosung 2020)


Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!


so steht es für uns Evangelische als Losung über diesem Jahr 2020. Das Wort aus dem Markusevangelium reißt die Spannung auf, in der sich auch viele Glaubende im Widerstand fanden – fast zerrissen in dieser Spannung: Glauben an ein besseres Deutschland, Glauben an Gottes gutes Wirken in der Geschichte, Glauben an die Kraft, die Gott Einzelnen schenkt – das  gegründet in der Nachfolge Jesu. Und das alles neben Unglauben und Zweifel angesichts der mörderischen Herausforderungen der historischen Wirklichkeit.


Einer der sich immer wieder intensiv mit dieser Spannung auseinandergesetzt hat, war Dietrich Bonhoeffer. Seinen Todestag haben wir in diesem Jahr zum 75. Mal begangen. Einer kaum absehbaren Bedrohung seines Lebens war er ausgesetzt. Er war sich dessen sehr bewusst – und hat es nicht überlebt. Aber sein Nachdenken, sein Getragen-Sein von einem festen Vertrauen auf Gott hat überlebt, trägt sich in seinen Schriften bis zu uns – auch in die Bedrohungen unserer Tage.


So denke ich an diesem 20. Juli an eine Predigt von Dietrich Bonhoeffer, die er im April 1938 anlässlich einer Konfirmation von drei Jungen aus dem weiteren familiären Umfeld gehalten hat. Als Predigttext diente ihm der Vers, der uns in diesem Jahr Jahreslosung ist: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Mit seiner Predigt wollte Bonhoeffer die Jungs auf die Bedrohungen vorbereiten, mit denen er wachen Sinnes schon 1938 gerechnet hatte. Und dabei kommt er in seiner Predigt zu einer für mich zunächst irritierenden Interpretation dieser Bedrohungen, dieses vorhersehbaren Leidens, auf das sich die Jungs einstellen sollten. Bonhoeffer schreibt:


„Euer Glaube wird geprüft werden durch Leid. Ihr wisst noch nicht viel davon. Aber Gott schickt seinen Kindern das Leid gerade dann, wenn sie es am nötigsten brauchen, wenn sie allzu sicher werden auf dieser Erde. Da tritt ein großer Schmerz, ein schwerer Verzicht in unser Leben, ein großer Verlust, Krankheit, Tod. Unser Unglaube bäumt sich auf. Warum fordert Gott das von mir? ... Warum, ja warum? das ist die große Frage des Unglaubens, die unseren Glauben ersticken will. ...


In dieser Stunde der Gottverlassenheit dürfen und sollen wir sprechen: Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben. Ja, lieber Herr, ..., auch in der Gottverlassenheit. ..., du hast ja selbst gerufen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Du wolltest sein wo ich bin. Nun bist du bei mir. Nun weiß ich, dass du auch in der Stunde meiner Not mich nicht verlässt.“[1]


„Gott schickt seinen Kindern das Leid gerade dann, wenn sie es am nötigsten brauchen, wenn sie allzu sicher werden auf dieser Erde.“


Dieser Satz irritiert mich, entspricht nicht dem Bild, das ich von Gott habe – dem Bild, das mir Christus von Gott vermittelt hat. Und doch lässt er mich fragen, ob da etwas dran sein könnte, ob sich eine Zeit des Leidens und der Entbehrung auch so deuten ließe. Ich hadere mit diesem Gedanken und kann ihn nicht zu Ende denken. Wo wäre dann Gott darin? Nein, so kann ich das nicht glauben. So ist Gott nicht für uns da. Gott schickt nicht Leid, weil wir es brauchen. Gott hat nicht Adolf Hitler und seinen nationalistischen Wahn geschickt, damit Menschen durch das Leiden zu Gott finden.


Nein – Gott hat Christus in die Welt geschickt und uns in dessen Nachfolge gestellt. Im Vertrauen auf Christus – als getaufte Christenmenschen in seiner Nachfolge – dürfen wir wissen – und es auch glauben – dass wir in allem Leiden nicht allein sind – und – und das ist das andere – dass das Leiden mit zu dieser Nachfolge dazu gehört. Wir dürfen glauben, dass wir in allem Leiden nicht alleine sind – und dass das Leiden mit zu dieser Nachfolge dazu gehört.


Und in diesem Leiden lässt Gott nicht allein – selbst wenn das zuweilen so scheinen mag – insbesondere in den Mörderhöhlen nationalsozialistischer Verbrecher, wie hier in Plötzensee. Jesus am Kreuz betet mit Psalmworten: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – und viele haben war damals in Plötzensee genauso gerufen!


Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? hat Jesus selber am Kreuz gefragt, geklagt, gebangt. Erst später haben andere darunter oder dahinter gleichermaßen auch Gottes Zusage entdecken können. Paulus zum Beispiel, wenn er schreibt: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber. Gott war nicht irgendwo fern von Golgatha – Gott war in Christus! Gott hielt sich nicht raus aus dem Leiden – Gott war mit dabei, hat mit gelitten, hat mit gefragt, geklagt, gebangt!


Ja, ..., auch in der Gottverlassenheit ..., hast du ja selbst gerufen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Du wolltest sein wo ich bin. Nun bist du bei mir. Nun weiß ich, dass du auch in der Stunde meiner Not mich nicht verlässt.


Diesen Gedanken von Dietrich Bonhoeffer nehme ich mit in diesen 20. Juli, diese nachdrückliche Erinnerung daran, dass Gott sich aus dem Leiden nicht raushält, sondern es mitträgt, bei uns ist – auch wenn wir das kaum fassen können – und dass Gott aus diesem Leiden sogar Gutes wachsen lassen kann. Denn viel Gutes ist aus diesem Leiden tatsächlich dann gewachsen – später – heute können wir das so sehen: an Demokratiebewusstsein, an Menschenrechtsarbeit, an Hoffnung stiftenden Taten! Ja, ich ahne, Gott ist mit uns – auch an Orten wie Plötzensee. Ich ahne, Gott will sein, wo ich bin, wo wir sind, wo unsere Lieben waren und wo sie jetzt sind. Das glaube ich, hilf meinem Unglauben!


Amen


Seinen Glauben, sein Vertrauen auf Gottes Walten in der Geschichte, hat DB 1943 im Gefängnis in Tegel formuliert – mit Gedanken, die in seiner Predigt 1938 schon vorhanden waren. Wir beten diese Glaubenssätze im Wechsel:


Ich glaube, dass Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.


Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben
müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.


Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer
nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist,
mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.


Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.[2]


Amen


[1] Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 15: Illegale Theologenausbildung Sammelvikariate 1937-1940, hrsg. v. Dirk Schulz, München: Chr. Kaiser Verlag 1998, S. 476-481


[2] Quelle: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 14. Auflage, München 1990, S. 19

Weitere Reden

20.07.2020
P. Dr. Karl Meyer OP
P. Dr. Karl Meyer OP