Tagesbefehl

Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Rainer Eppelmann

Tagesbefehl

Tagesbefehl des Ministers für Abrüstung und Verteidigung der DDR am 20. Juli 1990 in Strausberg

Meine Damen und Herren Soldaten und Unteroffiziere, Fähnrichschüler und Offiziersschüler, Fähnriche und Offiziere!

Meine Herren Generale und Admirale!

Für die Angehörigen der NVA ist der 20. Juli 1990 ein bedeutungsvoller Tag. Sie leisten ihren Fahneneid auf die von der Volkskammer der DDR am 26. April 1990 beschlossene Eidesformel.

Dies ist Ausdruck der grundlegenden Veränderungen in unserem Land.

Mit den Massenaktionen im Herbst 1989 begann der Weg zu Freiheit und Demokratie auch in diesem Teil Deutschlands.

Mit den freien Wahlen vom März entschieden sich die Menschen gegen Parteidiktatur und Entmündigung, für Freiheit und Demokratie.

Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 wurde der erste große Schritt zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten getan.

Auf diesem eingeschlagenen Weg ist es von größter Bedeutung, die geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu fördern und politische Akzente zu setzen, die der demokratischen Entwicklung entsprechen.

Charakter und Auftrag der Streitkräfte als Bestandteil der erneuerten Gesellschaft wandeln sich grundlegend. Demokratisch legitimiert, wirklich im Volke verwurzelt und seine Interessen wahrnehmend, hat die NVA ihren Beitrag im demokratischen Umgestaltungsprozess geleistet und wird ihn auch weiterhin leisten. Mit Umsicht und verantwortungsbewusst bereitet sich die Armee darauf vor, ihren Platz als Territorialheer im vereinigten Deutschland einzunehmen.

Die heutige Vereidigung ist ein weiterer gewichtiger Schritt zur demokratischen Erneuerung unserer Armee.

Im neuen Fahneneid finden sowohl das Neue in der Stellung, den Aufgaben und der Funktion des Soldaten in der Gesellschaft als auch Veränderungen des Verhältnisses von Staat und Militär ihren Niederschlag.

Mit der Ablegung des Eides bekunden die Angehörigen der Nationalen Volksarmee ihren Willen, für Recht, Freiheit und Menschenwürde einzutreten sowie als mündige Staatsbürger in Uniform die demokratische und soziale Rechtsordnung zu schützen. Dies entspricht der Entscheidung unserer Menschen für Einheit, Freiheit und Demokratie.

Der neue Schwur der NVA unterscheidet sich grundsätzlich von der bisherigen undemokratischen, vom Führungsanspruch der SED getragenen Eidesformel. Mit der heutigen Vereidigung werden Angehörige der NVA von dem vor dem gesellschaftlichen Umbruch geleisteten Eid und Offiziersgelöbnis entbunden.

Die Angehörigen der Nationalen Volksarmee geben heute ihr Versprechen, ihre militärischen Pflichten gegenüber dem Vaterland zu erfüllen. Sie sind bereit, die persönlichen Interessen stets hinter die des Volkes zu stellen.

Mit der Vereidigung am heutigen 20. Juli wird zugleich des 46. Jahrestages des Attentats des Obersten Claus Schenk Graf von Stauffenberg gedacht, das die Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Ziele hatte.

Bewusst, aus persönlicher Überzeugung geht der Armeeangehörige die Verpflichtung ein, Befehl und Gehorsam in Übereinstimmung mit Recht und Gewissen zu bringen. Damit stehen die Angehörigen der NVA auch in der Tradition der Männer des militärischen Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur. Die Patrioten des 20. Juli legten beispielgebend für jeden Soldaten eines demokratischen Staates mit ihrem Leben Zeugnis für den Rang des Gewissens ab.

Die Bereitschaft und der Wille, ihre Taten und Motive für das eigene Handeln zu erschließen, sind ein notwendiger, unerlässlicher Beitrag für die demokratische Erneuerung unserer Armee.

Aufgabe der heutigen Soldatengeneration ist es, das Verantwortungsgefühl dieser Widerstandskämpfer für das Schicksal des eigenen Volkes, ihr konsequentes Eintreten für Freiheit und Menschenwürde positiv aufzunehmen. Das ist der beste Weg, um sich selbst für diese Grundrechte aktiv einzusetzen, die in einem demokratischen Gemeinwesen zum Verfassungsgrundsatz gehören.

Meine Damen und Herren. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Vereidigung.

Ihnen und Ihren Familien wünsche ich Erfolg, Gesundheit und persönliches Glück.






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